Eigene Welt
• Aniflur und • Onkel Kleo stehen in St. Gallen am Marktplatz.
Sie warten auf die Bahn nach Trogen, das Trogener-Bähnli.
• Hier gibt es immer lustige Leute, sagt Aniflur.
• Findest du?
• Ja, oder so komische.
• Warum komisch?
• Manchmal sprechen sie so laut und sie schlafen auf der Bank.
• Sie schlafen und sprechen?
• Nein, wenn sie schlafen, sprechen sie doch nicht.
• Sie könnten träumen.
• Wovon denn?
• Von einem Ort, wo es wärmer ist.
• Aber die haben dicke Jacken an.
• Die brauchen sie auch, wenn sie den ganzen Tag draussen sind.
• Die sind den ganzen Tag draussen?
• Ja die meisten schon.
• Warum gehen sie nicht nach Hause?
• Sie haben vielleicht keine Wohnung oder nur ein Zimmer.
• Keine Wohnung? Wo schlafen sie denn?
• Es gibt so Schlafstellen, da können sie hin zum Schlafen.
Aniflur, '20
• Und hier treffen sie sich.
• Ja, weil es grosse Bänke gibt und dieses Dach von Calatrava. Das ist ein bekannter Architekt.
• Und warum trinken und rauchen sie?
• So vertreiben sie sich die Zeit. Und wenn man das gewöhnt ist, dann braucht man es.
• Auf der Bank sitzen und trinken?
• Sie brauchen das Trinken.
• Haben sie nichts zu tun?
• Nein ich glaube nicht, sie haben keine Arbeit.
• Warum denn?
• Ja ganz verschieden. Einige können nicht mehr arbeiten oder haben nichts gelernt, einige sind krank. Schau dort hinten, die Frau, die immer hin und her läuft, siehst du sie?
• Ja, immer hin und her, hin und her. Die spinnt.
• Zumindest ist sie jetzt nicht ganz klar im Kopf. Wie soll sie so arbeiten können.
• Und sie spricht. Sie sagt irgend etwas. Aber man versteht es nicht.
• Sie spricht mit sich selber.
• Und warum macht sie das?
• Vielleicht hat sie eine Krankheit. Vielleicht hat sie zu viel getrunken, vielleicht hat sie zu viel Pillen geschluckt.
• Was für Pillen?
• Pillen, die sie fröhlich und zufrieden machen, die machen, dass sie keine Schmerzen hat, dass sie alles Rosa sieht.
• Alles Rosa? Meinst du, dass sie jetzt alles Rosa sieht? Dich und mich auch?
• Ich glaube eher, das Rosa ist weg und sie hat gerade eine Krise.
• Soll ich sie fragen?
• Ich glaube nicht, dass sie antwortet. Sie ist in ihrer eigenen Welt.
• Sie hat eine eigene Welt?
• Ja, nur ist sie im Moment nicht sehr angenehm für sie.
• Wieso meinst du?
• Weil sie so unruhig ist, hin und her getrieben wird.
• Was treibt sie denn?
• Irgendetwas in ihrem Körper und in ihrem Kopf sucht nach etwas.
• Etwas, das ihr fehlt?
• Ja, sie sucht nach etwas, das ihr fehlt in dieser Welt.