Alles Physiologie
Mein Rücken
Was Physiotherapeuten machen, weiss ich zur Not noch, nämlich Arme und Beine verbiegen, also muss Physiologie die Wissenschaft von den Armen und Beinen sein und gegebenenfalls auch des Rückens und der Finger.
Ich komme darauf, weil ich eben den Satz gelesen habe:
Alles, was tief in uns ist, hat seine Wurzeln in der Physiologie.
Der Satz ist von Cioran, und der muss es ja wissen. Was der nicht alles herausgefunden hat, was tief in ihm war, eben weil er sich auskannte in der Physiologie, nehme ich an.
Also probieren wirs aus. Was war da in letzter Zeit los?
Ach ja, mein Rücken, ich konnte monatelang nicht mehr richtig sitzen und mich bücken schon gar nicht. Schuld waren der dritte und der vierte Wirbel, die hat man jetzt fixiert, ja, einfach zusammengeschraubt mit vier Schrauben, erstaunlich, dass das funktioniert.
Was also sagt mein Rücken, der sich nicht gern bückte, über mich aus? Was steckte da tief in mir drin, das ihn daran hinderte? Mangelte es da in mir drin an Rückgrat oder hatte ich eher zu viel davon? Und vor allem: Wie ist es jetzt, haben die fixierten Wirbel mein Verhalten verändert?
Vielleicht hilft uns eine andere physiologische Wurzel weiter.
Seit meiner Pubertät habe ich mit meinen Knien Probleme, kann nicht gut knien oder nur kurze Zeit, ich kann die Knie schon beugen, aber auf ihnen knien, halte ich nicht lange aus.
Was sagen also diese Knie über mein Inneres aus? Dass ich vor niemandem kriechen will, dass ich ein aufrechter Mann bin oder genau das Gegenteil?
Und dann habe ich ja diese leicht hängenden Augenlider. Sind sie der Grund, dass es in mir drin manchmal verhangen aussieht? Andererseits sind aber die verhangenen Augenlider auch wieder Teil meines Lachens.
Und überhaupt, ich bin ja nur 165 gross, ist das der Grund, dass mir die grossen Würfe fehlen und ich so kleinlich denke?
Ist ein interessanter Satz: Alles, was tief in uns ist, hat seine Wurzeln in der Physiologie. Und eine gute Ausrede: Ist doch alles Physiologie, was kann man machen, also ich wasche meine Hände in Unschuld.
Aniflur,'20
Zerknirschung
Ich habe mir eine Zerknirschung eingefangen.
Eine unangenehme Sache. Wenn es wenigstens nur eine Knirschung wäre, aber auch die knirscht ja beim Gehen, vor allem auf Kieswegen.
Ich habe schon allerhand ausprobiert, Schuhe mit Gummisohlen, die Schuhe mit Schuhfett einreiben.
Aber mein Arzt sagt, es sei psychosomatisch, es sei sozusagen die Seele, die knirscht. Da nützen Gummisohlen wenig. Und ich hab schon gedacht, es sei mein Charakter.
Es ist ja nicht so, dass es ununterbrochen knirscht, mal knirscht die Seele mehr, mal weniger. Aber manchmal bin ich schon sehr zerknirscht.
Was kann man dagegen tun, habe ich den Arzt gefragt.
Gut seien Kräuteressenzen. Oder Balsam für die Seele. Aber den findet man nicht überall, nur in einigen esoterischen Buchhandlungen und bei zwei, drei Naturheilpraktikern.
Aber ich habe jetzt herausgefunden, dass mir Zerstreuung ganz gut hilft. Ich gehe ein bisschen spazieren, im Park oder am Meer entlang und da zerstreue ich mich, lasse hier etwas fallen und dort. Und wenn ich nach Hause komme, bin ich die Zerknirschung los.
Sie fragen, ob das erlaubt sei? Meine Zerknirschung schadet ja niemandem, und es ist auch nicht so, dass sie die Umwelt verschmutzt. Ich lasse die Zerknirschung fallen, sie zerstreut sich und löst sich dann auf.
Aber ich muss natürlich vorsichtig sein. Ich kann mich ja nicht endlos zerstreuen, sonst bin ich am Ende nur noch Haut und Knochen.
So hat eben jeder sein Päckchen zu tragen.
Hape