Als Hölderlin zäuerlen lernte


 

...und jählings herab von den Alpen

kommt eine Fremdlingin sie

zu uns, die Erweckerin,

die menschenbildende Stimme.

Hölderlin. Gedichte 1800-1804



Hölderlin traut den Alpen einiges zu.

Dort ist der Sitz der Himmlischen,

dort ist das reine Licht, die reine Luft.

Von dort kommt das reine heilige Wasser.

Und nun soll von dort auch die Stimme kommen,

die den Menschen zum Menschen macht,

ihm also Geist und Verstand einhaucht

und eventuell auch eine Seele!

Erstaunlich.

Was ist mit der Stimme gemeint?

Wer ist die Fremdlingin?

(Es gibt bei Hölderlin auch eine Lieblingin,

ich glaube sogar eine Jünglingin.)

Ist das Schmelzwasser gemeint?

Aber das erweckt nicht, das erschreckt eher.

Oder der Föhn?

Der sorgt zwar für klare Sicht, aber auch für Kopfweh.

Oder ist nicht doch das ZÄUERLEN gemeint?

Es ist gut möglich,

dass es ihm fremd vorkam,

als er es zum ersten Mal hörte.

(Vielleicht damals, als er in Hauptwil war,

und in seinen Briefen und Gedichten von den Alpen schwärmte.)


Alpstein, Seealpsee 


Das geht vielen so,

wenn da in einer Beiz plötzlich (jählings)

ein paar Elektroinstallateure und Lastwagenfahrer

zu zäuerlen beginnen,

dass einem Hören und Sehen vergehen, 

und man das Augenwasser kriegt,

wie es mir vor ein paar Monaten wieder passiert ist

auf der Hochalp über Urnäsch,

richtig ergriffen war ich da,

kaum zu fassen.

Die Leute, die sangen,

waren jählings andere Menschen.

Bekamen runde Gesichter.

Runde Münder formten

Töne wie runde Steine.

Ein Gesang

wie aus der Urzeit,

oder eben doch aus höheren Gefilden, herzerweichend,

menschenbildend.

Hoffen wirs...


Silvesterchläuse beim Zäuerlen