Viel Glück im Unglück


Schwalbenschwanz. Ursula Koch-Baumann, April 2021


... die Raupe machte sich davon und raupte zu einem Wintergarten am Sonnenberg in Niederscherli, um zu überwintern. Ein guter Platz, angenehme Hausbesitzer, liessen einen in Ruhe, spritzten nicht allzu viel Insektizide.

Dort schlief sie ihren Wintergartenschlaf bis in den April hinein. Dann begann für sie ein neues Leben. Sie verpuppte sich und wurde zur Puppe, wobei man natürlich sagen muss, dass das wieder ein völlig falscher Name war, was bitte schön hatte sie mit einer Puppe gemeinsam!

Nun gut, sie musste ja nicht allzu lang eine Puppe sein, nur etwa vierzehn Tage. Dann wurde sie das, was sie immer schon werden wollte, nämlich ein Edelfalter.

Ja, ein EDELFALTER, bitte schön, denn das Wort Schmetterling mochte die ehemalige Raupe nicht leiden. Es tönte so grob und ungehobelt. Kein Vergleich mit der spanischen Mariposa oder der italienischen Farfalla. Das englische Butterfly war allerdings auch nicht viel besser, tönte nach dick und unbeweglich, und das französische Papillon, ja nach was tönte das, nach Papier allenfalls. Und was sollte man zu der portugiesischen Borboleta sagen, da sagte man lieber gar nichts.

So und nun war sie ein Falter und das mühsame Umherkriechen war vorbei. Welch herrliches Leben. 

Aber schauen wir auf ihr Vorleben zurück!



Ha. Sch                 Eitemperaaufstrich – Ziegelsteine, Elsau


Am Morgen war die Tomate noch grün hinter den Ohren, aber als am Nachmittag die Sonne schien, wurde sie rot. Warum schämst du dich, fragte eine Raupe, die vorbeiraupte auf dem Weg zur Arbeit. Ich schäme mich doch nicht, sagte die Tomate, ich bin nur einfach rot im Gesicht, das heisst, dass man mich jetzt essen kann. Du bist schön blöd, sagte die Raupe, zeigst allen, dass man dich essen kann. Selber blöd, piepste ein Vogel, dass du nicht das Maul halten kannst, ich hätte dich sonst glatt übersehen, und frass die Raupe auf. Wollte sie auffressen, denn die Raupe war voller Haare und die kratzten und kitzelten den Vogel. Er musste husten und spukte die Raupe wieder aus.

Haare sind immer gut, sagte die Raupe, sie schützen gegen die Sonne und gegen das Gefressenwerden. Aber jetzt mache ich mich besser aus dem Staub.

Als sie aus dem Staub war, traf sie auf eine Eidechse.


Ha. Sch                 Eitemperaaufstrich – Färberwald


Was bist denn du für eine, sagte die Eidechse? Ich selber krieche ja nicht gerade elegant über die Erde, aber du hast nicht einmal Beine. Wozu braucht man Beine, wenn man gute Bauchmuskeln hat, sagte die Raupe und kletterte auf eine Brennnessel und verbrannte sich das Maul. Kreuzangeltschangel! fluchte sie, was ist denn das?

Das sind meine Haare, sagte die Nessel, die brennen, wenn sie zerbrechen. Nicht nur du hast Haare, die dich schützen!

Das meinst du vielleicht, aber deine Haare schützen dich nicht, ich mag scharfe Sachen! Und die Raupe frass sich an der Blättern satt.


Ha. Sch                 Eitemperaaufstrich – Erde, Eichholz Elsau


Ich habe sogar Stacheln, sagte ein Igel, der sich in einem Laubhaufen ausruhte und alles hörte. Ich fresse Raupen zwar ganz gern, aber du hast Glück gehabt, ich fresse dich nicht, ich habe für heute schon genug Käfer und Würmer gefressen. Ich brauche jetzt nur noch ein bisschen Obst und Gemüse zum Verdauen.

Gib nicht so an, sagte eine Biene zum Igel, ich habe nur einen Stachel, aber der piekst nicht nur, mit dem kann ich Gift verspritzen.  


Ha. Sch                 Eitemperaaufstrich – Safran


Langsam muss ich besser aufpassen, sagte sich die Raupe, sonst geht es mit mir zu Ende, bevor ich ein Schmetterling geworden bin.

Und die Raupe passte auf und auf und auf, bis sie vom Aufpassen müde geworden war und einschlief. Als sie schlief, kam ein Storch und nahm sie in seinen grossen Schnabel. Aber in dem Moment hörte er einen Frosch in der Nähe quaken. Ein Frosch schmeckt besser als eine mickrige Raupe, sagte der Storch und liess die Raupe auf den Boden fallen.

Der kann mich nicht beleidigen, sagte sich die Raupe, manchmal ist es besser mickrig zu sein, und der Storch weiss ja nicht, dass ich einmal ein farbiger Schmetterling sein werde. Oder vielleicht werde ich eine elegante Libelle. Wäre auch nicht schlecht, so rumfliegen über dem Wasser. Weiss allerdings nicht, ob ich überhaupt eine Libelle werden kann. Wird sich zeigen.


Ha. Sch                 Eitemperaaufstrich – Randen


Aber bis es soweit ist, ist es wohl besser, dass ich mich verkrieche oder verraupe. Die Raupe fand einen morschen alten Baum und versteckte sich unter der Rinde. Es war ein bisschen eng, das schon, aber dafür war es sicher. Glaubte die Raupe. Aber auch hier waren ihr diese vermaledeiten Vögel auf den Fersen. Diesmal ein Specht.

Die Raupe war gerade am Duschen, als es wie verrückt an die Türe – äh Rinde – pochte. Die Raupe trocknete sich ab und ging zur Türe, äh Rinde, um zu schauen, was da los war, als sich der Schnabel eines Spechtes durch die Rinde bohrte.

Jetzt wird es ernst, sagte sich die Raupe, ich muss verschwinden. Sie griff nach ihrem Rucksack und nahm den Lift hinunter in die Baumwurzeln. Dort nahm sie ein Maus-Taxi. Das Maus-Taxi brachte sie durch viele unterirdische Mausgänge zu einem Mauseloch auf einer Wiese. 


Ha. Sch                 Eitemperaaufstrich – Färberwald


Unglücklicherweise stand dort aber eine Kuh, die genau in dem Moment ihr Geschäft verrichtete, als die Raupe aus der Erde kroch. Heilige Kuhscheisse, fluchte die Raupe, womit habe ich das verdient! Du hast es nicht verdient, sagte die Kuh, du bekommst von mir den Kuhfladen geschenkt, einfach so, gratis und franko. Auf dieses Geschenk hätte ich gerne verzichtet, sagte die Raupe und raupte davon.

Wie kann man nur so mühsam raupen, sagte ein Heugumper, schiebst mühsam deinen Bauch über die Erde, mach es doch wie ich; ich raupe nicht, ich gumpe. Warte nur, sagte sich die Raupe, ich werde nicht nur gumpen, ich werde als Schmetterling sogar fliegen. 


Ha. Sch                 Eitemperaaufstrich – Erde, Brissago


Sie machte sich davon und raupte zu einem Garten, in dem Tomaten wuchsen. Warum seid ihr so rot im Gesicht, fragte die Raupe? Ihr haltet doch nicht etwa die Luft an, weil ich nach Kuhfladen stinke? Nein, nein, sagten die Tomaten, wir sind rot im Gesicht, weil wir reif sind, und man uns jetzt essen kann. Ihr seid schön blöd, sagte die Raupe, zeigt allen, dass man euch essen kann. Selber blöd, piepste ein Vogel, dass du nicht das Maul halten kannst, ich hätte dich sonst glatt übersehen, und frass die Raupe auf.

 

* Auch so hätte die Raupe enden können, aber wir haben ja gesehen, dass sie sich ein gutes Winterquartier in Niederscherli suchte und dann im Frühling zum Edelfalter wurde.