Der Ritterknabe Genius 



Der Ritterknabe ist aufgestanden und hat zum Zmorgen ein Stück schwarzes Brot und einen sauren Apfel gegessen und muss nun die Rüstung anziehen, die Beinschienen und den ledernen Brustpanzer, darüber das Kettenhemd, das so schweineschwer ist, und die Armschützer und halt all das ganze Blechzeug. Auch Socken muss er anziehen, Socken ohne Fersen, auch nicht gerade das Gelbe vom Ei, aber zu Ritterstiefeln gehören nun mal Socken. Mit den spitzen Ritterstiefeln läuft er wie eine Watschelente, weil die Stiefelspitzen überall hängen bleiben und dann strauchelt er und fällt auf den Schnabel oder die Schnauze. Das gehört halt dazu, wenn man ein junger Ritter ist und sich im Kämpfen üben muss.

Aber dann kommt ihm in den Sinn, dass er vergessen hat aufs Klo zu gehen, und nun muss er all das verrostete Eisenzeug wieder ausziehen, verhext noch mal, die Lederriemen wieder lösen, mit denen die Rüstung festgezurrt ist, das Kettenhemd über den Kopf ziehen, das fast bis zu den Knien reicht.


Ablegen eines Ringpanzerhemdes (Maciejowski-Bibel), public-free


Und dann geht er in den Kloturm. Im Kloturm ist ein Brett mit einem Loch, und da setzt er sich drauf und verrichtet sein Geschäft. Das Geschäft plumpst durch den Turm und dann den Burghügel hinunter in den Bach. Das meiste bleibt allerdings an den Sträuchern im Burghügel hängen. Unappetitlich, besser man denkt nicht daran.

Es zieht im Kloturm, um nicht zu sagen, es ist arschkalt. Darum putzt er sich den Hintern mit Blättern und Moos und zieht schleunigst seine Unterhosen hoch, die furchtbar kratzen, aber immer noch besser, als sich den Hintern an der Rüstung zu scheuern. 

Er sammelt seine Rüstung zusammen, die auf dem Boden herumliegt, weil er ja in Eile war, als er aufs Klo ging und montiert sie wieder Stück für Stück. Dann hat er eigentlich für seinen Geschmack schon genug Ritter gespielt für den heutigen Tag, aber es hilft ja nichts, er muss jetzt Ritter spielen, ob er will oder nicht. Er klettert die Leiter runter in den Rittersaal und vom Rittersaal in die Wachtstube, da hocken die Wachen  herum und spielen Karten anstatt zu wachen. Es gibt auch nichts zu bewachen, im Moment ist gerade Frieden im Land.

Aber der kleine Ritterknabe muss sich trotzdem üben im Fechten und Reiten und Lanzehalten, da führt kein Weg vorbei. Der Fechtmeister wartet schon auf dem Burgplatz, aber er hat eine gute Nachricht, heute wird das Reiten geübt. Und sie gehen zu den Stallungen, aber sie nehmen keines der dicken Streitrösser, die schnell ins Schnaufen kommen, wenn man ein bisschen galoppiert, und das wollen sie ja heute, sie nehmen zwei der kleineren Friedberger Pferde, der Rossknecht hat sie schon bereitgestellt, mit Zaumzeug und Sattel.


Sven Gabelbart auf einem Kriegspferd im Passgang. Life of St Edward the Confessor (Cambridge University Library, 


Sie reiten im Schritt über die Ziehbrücke, die Holzbohlen tönen hohl und gefährlich, und dann geht es langsam den Schlosshügel hinunter, auf einem engen kurvenreichen Weg. Unten kommen sie an den ersten Hütten vorbei, einen Schmied gibt es da, der schon am Morgen in seiner Höhle mit Feuer und Hammer fuhrwerkt, einen Weber, der den Bauern den Hanf abkauft und Tücher daraus macht, einen Küfer, der Holzkübel und Fässer fabriziert. Sonst gibt es nicht gerade viel im Dorf ausser einem Haufen Hühner, Schweine und Kindern, die überall herumrennen, herumpicken und herumscheissen. 

Auf den Wiesen stehen ein paar magere Kühe und Schafe, die vor lauter Wolle kaum noch laufen können, bald muss man sie scheren. Der Waffenmeister beginnt zu galoppieren, und der kleine Ritter muss ihm folgen, aber das ist nicht leicht, die Rüstung zieht ihn in alle Richtungen und er muss schauen, dass er nicht aus dem Sattel fällt. Und dann fällt auch noch das Visier des Helms zu, und er sieht fast gar nichts mehr, aber die Reise geht weiter über Stock und Stein, das Ross weiss selber den Weg, das heisst, es folgt einfach dem Ross des Waffenmeisters. Ein Fuhrwerk kommt ihnen entgegen, zwei Kühe ziehen einen Heuwagen, und als der Bauer die Ritter kommen sieht, fährt er in den Graben, wie es sich gehört, damit die Herren Ritter vorbei galoppieren können. Nachher hat der Bauer dann den halben Tag zu tun, seinen Karren wieder aus dem Graben zu kriegen, er muss das Heu abladen und dann wieder aufladen. Aber was soll es, so gehört es sich halt; wenn die Ritter kommen, müssen die andern den Weg freimachen. Besser sich nicht aufregen, denkt der Bauer, und die Schnauze halten, wenn man sich beschwert, kriegt man noch eins übergezogen mit der Pferdepeitsche. 


Ron Shawley, CC BY-SA 3.0   /   Codex Manesse (Ausschnitt)


Dann sehen die beiden Reiter auf einem Feld eine Vogelscheuche, die die Vögel vertreiben soll, denn die Ähren sind reif. Der kleine Ritterknabe muss sie angreifen, so als wäre sie der Feind. Und der kleine Ritter reitet drauflos, aber es ist schwierig, die grosse Lanze gerade zu halten, sie fällt ihm fast aus der Hand, und natürlich trifft er die Vogelscheuche beim ersten Mal nicht. Die Vogelscheuche lacht sich ins Fäustchen, nein, das kann sie ja nicht, das kommt dem kleinen Ritter nur so vor, sie ist nur ein Stecken mit ein paar Fetzen und einem Hut auf dem Kopf. Der kleine Ritter muss so lange üben, bis er trifft, und ein Ärmel der Vogelscheuche an seiner Lanzenspitze hängt.

Natürlich sind jetzt die Ähren auf dem Feld zerbrochen und zerstampft, aber das kümmert die Ritterkämpfer nicht.

Sie reiten weiter und kommen zu einem Fluss, der Fluss ist die Sitter. Da steigen sie vom Pferd, was auch nicht so leicht ist, mit der schweren Rüstung und der Lanze und dem Schwert, der Waffenmeister schafft es, der kleine Ritter hingegen lässt sich einfach vom Pferd fallen und holt sich blaue Flecken. Aber das gehört zum Kriegshandwerk.

Denn das ist ja sein Beruf, wenn er gross ist. Er muss die Bauern beschützen von den Strauchdieben und Wegelagerern, also solche, die hinter Sträuchern sich verstecken oder an den Wegen lauern, um die Bauern zu überfallen, ihnen die Ziegen wegnehmen und das Schwarzbrot. Und die Bauern müssen zum Dank für den Schutz die Ritter füttern, denn sie haben keine Zeit, Bier zu brauen und Schinken in den Rauchfang zu hängen, sie müssen ja immer kämpfen und wenn Frieden ist, müssen sie üben und jagen. Denn Jagen ist eine gute Übung und auch schon fast Krieg, einfach gegen die Tiere.

Der kleine Ritter möchte eigentlich nach Hause, aber noch muss er eine Runde schwimmen, auch das gehört dazu, wenn man Ritter werden will, und so wird er auch noch ein bisschen gewaschen, in der Burg wäscht er sich ja nur am Brunnen, es gibt keine Dusche und kein Bad. Sie sind ja bescheidene Ritter, nicht so wie die Ritter in der Stadt oder auf den grossen Schlössern, es ist eigentlich ein grosser Bauernhof, auf dem der kleine Ritter wohnt, mit dicken Mauern rundherum und einem Wachturm, immerhin.


Ruine Alt Ramschwag, gemeinfrei


Dann reiten sie wieder nach Hause, durch die verlausten Dörfer und über die schlammigen Wege. Zuhause kann der kleine Ritter endlich seine Rüstung ausziehen, all das Zeug aus Leder und Eisenblech, das überall auf die Knochen drückt. Das Pferd überlässt er dem Stallknecht, der soll es putzen und füttern. Denn Putzen ist nichts für Ritter, Ritter müssen sich darauf konzentrieren, die Armen zu schützen, Streit zu schlichten und den aufmüpfigen Bauern, die ihre Hühner und ihren Weizen nicht abliefern wollen, den Meister zu zeigen. Und dann muss er bereit sein, wenn der Herzog ruft oder Graf oder gar der König, um ihnen beizustehen gegen andere Grafen und Herzöge, die da oder dort eine Wiese besetzen oder einen Wald abholzen, der ihnen nicht gehört. Ja es ist nicht einfach das Ritterleben.