Ein Kopf wie
ein Felsen
Paolo Monti / CC BY-SA(https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0)
• Aniflur und • Kleo schlendern durch den Skulpturenpark in Washington. Sie kommen an einer Skulptur von Alberto Giacometti vorbei.
• Schau mal hier diesen Kopf.
• Sieht aus wie ein Fels.
• Ja, wie ein schrundiger, schartiger Fels.
• Ein felsiger Kopf! Warum hat er ihn so gemacht?
• Das kann er dir nicht mehr sagen, er lebt nicht mehr.
• Ja, aber du kannst es sagen.
• Was soll ich sagen; für eine Ameise ist ein Menschenkopf schon ein Berg.
• Du meinst, er hat gedacht, ich bin jetzt eine Ameise und mache einen Menschenkopf.
• Schwer zu sagen, vielleicht wollte er auch einen Berg machen und dann sagte er sich: Ach, der ist ja wie ein Kopf, da mach ich noch eine Nase dran.
• Wer weiss.
• Genau, wer weiss.
• Sieht aber traurig aus.
• Vielleicht ist er nur müde.
• Warum denn?
• Müde vom Leben, vom Arbeiten, von der Schule.
• Von der Schule?
• Ja, vielleicht ist er ein Lehrer.
• Oder er ist erschreckt.
• Warum erschreckt?
• Weil er die Augen so aufreisst.
• Oder er denkt nach.
• Ja genau, er runzelt die Stirn und denkt nach.
• Worüber?
• Dass er noch einkaufen muss und kein Geld hat.
• Oder er sucht den Weg, weiss nicht, wo er ist, oder welcher Weg der richtige ist.
• Ja, wie soll er denn gehen! Ohne Beine! Warum hat er keine Beine?
• Das nennt man eine Büste. Wenn der Künstler oder die Künstlerin nur einen Kopf machen und vielleicht noch den Hals.
• Der Hals ist auch nicht schlecht!
• Du meinst, er ist ein bisschen dick?
• Ja so dick wie der Baumstamm daneben.
• Der Hals muss ja auch einen schweren Kopf tragen.
• Du meinst, weil er sich so Gedanken macht.
• Nein, weil er aus Bronze ist.
• Was ist Bronze?
• Bronze ist Metall. 60% Kupfer und 40 % Zinn.
• Und warum hat er den Kopf aus Bronze gemacht?
• Bronze lässt sich gut giessen.
• Warum jetzt giessen. Ich giesse die Blumen mit Wasser.
• Aber wenn du sie mit Bronze giesst, werden sie fest und blühen für immer.
• Ach ja?
• Nein, nein, sie würden natürlich verbrennen. Bronze ist ja Metall, das man heiss macht, flüssig und dann in eine Form giesst. Und hier war eben dieser Kopf die Form.
• Und wie hat er die Form gemacht?
• Mit Ton und Lehm. Vielleicht auch mit Gips.
• Ah und dann so kneten; ich mach das mit Knete. Ich mache Figuren aus Knete.
• Ja genau, so hat er das gemacht, hat einen Brocken Ton genommen und mit seinen Fingern daran herum geknetet.
• Ist mit seinen Fingern auf dem Berg herumgekraxelt. Mit den Fingern an der Nase hochgeklettert.
• In die Augenhöhlen gestiegen.
• Im Mund herumgeturnt.
• Hat sich an der Stirn abgeseilt.
• Der wäre aber schön gross, mit Beinen und allem.
• Ja, stell dir das einmal vor, gross wie ein Baum.
• Und würde herumlaufen, da würden die Menschen aber staunen.
• Die würden davon rennen.
• Die würden die Polizei rufen.
• Könnte man ausrechnen.
• Was könnte man ausrechnen?
• Wie gross er wäre.
• Wie denn?
• Ein Mensch ist sieben bis achtmal so gross wie sein Kopf.
https://www.fondation-giacometti.fr/fr/database/171855/grande-tete-mince
• Aber warum hat er kein schönes Gesicht gemacht.
• Wie meinst du?
• Schön rund und die Haut schön flach.
• Er hat gesagt, wenn man ein Gesicht lange anschaut, wird es immer grösser, gross wie eine Landschaft.
• Oder eben gross wie ein Berg.
• Genau, schau deine Hand an, wie uneben sie ist, diese Furchen.
• Und überall kleine Löcher.
• Ja genau, das sind die Poren.
• Und es hat immer noch mehr, wenn man gut schaut.
• So ist es Giacometti ergangen. Er hat eine Wange angeschaut und die Wange wurde immer grösser, wie eine Wiese, wie ein Tal.
• Und die Augen wurden zu einem See. Nein zu zwei Seen.
• Ja zum Beispiel.
• Und die Nase ist ein Felsen.
• Und aus all diesen Dingen, dem See, dem Felsen, dem Tal, musst du jetzt wieder ein Gesicht machen.
• Nicht einfach.