Das Traumhaus 



Traumhaus 1

Ich bin durch grünes Land gegangen und über Berge, viele Wochen, und dann durch eine graue, leere Wüste. Und jetzt taucht dieses Gebäude vor mir auf. Vielleicht ist es ein Grenzposten, weit draussen, mitten im Niemandsland. Vier lange Mauern schliessen einen Innenhof ein. Noch sehe ich nur Linien, Striche in diesem Innenhof, bin noch zu weit weg. Zwei Türme stehen da. Vielleicht Wachttürme. Aber was bewachen die Türme hier draussen? Und wer ist es, der wacht? Die Türme sind verbunden durch etwas, was ein Wehrgang sein könnte, Zinnen und kleine, runde Löcher sind zu sehen: Ausguckposten, Schiessscharten? Oder einfach Fenster, die das Licht, dieses flimmernde Licht der Wüste, ins Gebäude lassen? 

Und jetzt sehe ich auch, dass im Innenhof Wasser fliesst. Mitten in der Wüste Wasser! Vielleicht kommen Karawanen vorbei. Ruhen sich aus und ziehen weiter mit ihren Waren und Kamelen. Oder täuscht mich mein Auge, weil ich Durst habe. Die Linien, die ich gesehen habe, werden jetzt, da ich näher komme, zu Flächen, länglichen Rechtecken. Wie Gartenbeete. Gartenbeete mitten in der Wüste, Nahrung für die Leute, die hier leben? Eine Karawanserei! 

Aber was ist jetzt? Alles verschiebt sich und beginnt vor meinen Augen zu tanzen. Die Gartenbeete wachsen die Hauswände hoch. Die Türme sind zwei Masten, und die runden Fenster sind die Bullaugen eines Schiffes. Das blaue Wasser ist kein Wasser sondern der Rumpf. Ein Schiff mitten in der Wüste, wie ist das möglich, ein Hausschiff, ein Schiffhaus, von einem Sturm hierhergetragen. In der Wüste gestrandet. Ich glaube, ich fange an zu spintisieren, ich habe eine Fata Morgana! Ja so nennt man das, Fata Morgana. Wenn man Dinge sieht, die es gar nicht gibt. Weil man sie sehen will, und das flimmernde Licht einem einen Streich spielt. Das muss es sein. Ich stelle mir das alles nur vor. Ich bin schon so lange alleine unterwegs, dass ich mir wünsche, bald auf bewohntes Land zu stossen. 


Ymér, '20                                                                                                                                                Traumhaus


Traumhaus 2

Ich stehe vor einer abweisenden Mauer, kein Eingang und keine Öffnung ist zu sehen. 

Plötzlich schieben sich zwei Quadersteine auseinander, ein Gang wird sichtbar, hoch und schmal, zwei Menschen können nicht nebeneinander gehen. Links und rechts sind Türen, aber sie sind verschlossen. Niemand ist zu sehen. Niemand ist zu hören. Am Ende des Ganges sehe ich Licht, aber als ich an das Ende komme, ist das Licht verschwunden. Ich steige Treppen hoch, auch sie sind schmal und eng, in Felsen geschlagen. Ich steige und steige und gehe dann wieder durch Gänge, endlos lange, enge Gänge. Sie führen zu weiteren Treppen, die plötzlich abwärts führen. Keine Gänge mehr, nur noch eine Treppe, steil und endlos, bis ich wieder dort bin, wo ich das Haus betreten habe. 

Aber jetzt ist da ein anderer Gang. Die Wände aus Lehm, es gibt keine Türen und Fenster. Wozu dann der Gang? Wieder komme ich zu Treppen, sie führen nach unten. Die Stufen sind unregelmässig und glitschig. Die Wände mit Schimmel und Moos überzogen. Dann hört die Treppe unvermittelt auf, und ich stehe vor einem Kanal. Kühles Wasser fliesst an mir vorbei. Es gibt ein Boot. Darin sitzt ein alter Mann, der mir zuwinkt und mich auffordert einzusteigen. Ich spreche ihn an, aber er versteht mich nicht. Ich steige ein und das Boot legt ab. Die Strömung ist nicht stark und wir treiben langsam zwischen riesigen, grob behauenen Sandsteinquadern dahin. Über uns ist nichts, die Sandsteinquader führen ins Bodenlose. Unter uns das blaue grundlose Wasser. Als treibe das Boot durch den Himmel. Nach einer lautlosen Fahrt auf dem schmalen Boot treten die Sandsteinquader plötzlich auseinander. Meine Überraschung ist gross, denn wir befinden uns im Innenhof des Gebäudes, der Kanal umfliesst den Hof auf drei Seiten. Der Innenhof ist riesig, auf Feldern sind Leute dabei, die Erde zu bearbeiten, offenbar um etwas zu pflanzen. Ich kann nicht erkennen, was es ist. Die Leute kommen und gehen, aber sie beachten uns nicht. Sie tragen lose Hemden und weite Hosen, die immer wieder ihre Farbe wechseln. Ich spreche die Leute an, aber sie hören mich nicht, sie scheinen auch untereinander nicht zu sprechen.

«Was willst du, sagt der alte Mann, sie hören dich nicht. Sie sprechen auch nicht, sie lesen Gedanken. Es sind Wesen aus einer anderen Welt. Du bist hier nicht in der Welt, aus der du kommst, das hier ist etwas anderes. Aber früher oder später, kommen alle Menschen hier vorbei. Oder sagen wir es so: Alle Menschen tragen diese Welt von Geburt an in sich.“


Hape