Sebastian K.



Ha.Sch.                     


«Ich soll dem Maler Ascher nackt zu einem Heiligen Sebastian Modell stehen.» 

Der Satz steht nackt und kommentarlos in Kafkas Tagebuch. 

Kafka schreibt nicht, was er von der Idee hält. Und warum der Maler ihn als Modell will. 

Oder ob es vielleicht nur die Idee zu einer neuen Geschichte ist. 

 

Ich musste mir die Szene sofort vorstellen: den gefesselten, mageren Körper von Kafka, die Pfeile in seiner Brust. 

Leuchtete mir irgendwie ein.

Sebastian, muss man wissen, ist der Heilige, der von Bogenschützen mit Pfeilen durchbohrt wurde, von numidischen Bogenschützen, wie es immer heisst. Ich weiss das, weil mir der Heilige Sebastian in meinem Leben immer wieder begegnet ist. Schon in der Kirche meiner Kindheit war er gefesselt und durchbohrt an die Wand gemalt, und dann später war sein Bild auf einer Mauer in der Gasse, in der ich fünfzehn Jahre wohnte. In Süden Mexikos, wo ich ihn auch angetroffen habe, nannte man ihn el santo flechado. Er blutete immer in Strömen und war durchbohrt von mehr als einem Pfeil. Die Indios liebten ihn, mit ihm konnten sie sich identifizieren, sie kannten das. Auch war er der Schutzpatron ihrer Schafe und Tiere. 

Dabei ist er an den Pfeilen nicht einmal gestorben. Er wurde gefunden und gesund gepflegt. Und was machte er? Er, der mit Pfeilen durchbohrt wurde, weil er Christ war, was sich für einen Offizier der Leibgarde Diokletians nicht ziemte, meldete sich zurück zum Dienst! Man schlug ihn nun mit Keulen tot und warf seine Leiche in die Kloake Maxima. Von dort wurde er wieder geborgen und in einer Katakombe begraben, die darum Sebastian-Katakombe heisst.

Könnte eine Geschichte von Kafka sein. Mit Katakomben kannte er sich aus und mit lebenden Toten. Auch mit Pfeilen, die ihn durchbohrten, meistens waren es seine eigenen. 

Und da kommt mir jetzt, wo ich so entspannt auf meiner Liege liege, noch in den Sinn, dass in Kafkas Erzählung Strafkolonie, den Sträflingen das (tödliche) Urteil auf den Leib geschrieben oder gezeichnet wird. Nicht mit Pfeilen oder Keulen, sondern mit Nadeln oder Haken.

Auch das leuchtet ein.

Jedem von uns prägen sich Kränkungen und Verletzungen in den Körper und in die Seele ein, das ist nicht zu vermeiden. Man sagt ja: Man wird vom Leben gezeichnet.

Das Verfahren, das Kafka beschreibt, fand ich allerdings nicht sehr geeignet. Wenn man jemandem etwas auf den Leib schreiben oder zeichnen will, ist eine Egge nicht das richtige Werkzeug. Ich denke da eher an eine Stickmaschine. Das hat damit zu tun, dass ich als kleiner Bub in einer Stickerei stand, wo mein Onkel auf einem Sessel sass und mit dem Stachel des Pantographen der Stickvorlage folgte, dessen Bewegungen dann auf den Stickboden mit dem aufgespannten Stoff übertragen wurden, wo tausend Nadeln mit grossem Krach wie irrsinnig die gleiche Stiche vollzogen.