Schweizer Geschichte


Frei nach unserem Nationaldichter Friedrich Schiller



1

Unsere Vorfahren waren noch Männer wie sie im Buch stehen, redlich und ohne Falsch.

Erst wenn jemand ihre Freiheit bedrohte, gab ihr Blut sich zu erkennen. Das konnten sie gar nicht ab; ohne Freiheit konnten sie nicht leben. 



2

Und wie waren die Frauen?

Es war nicht so, wie immer wieder behauptet wird, dass die Frauen früher nichts zu sagen hatten. Die Frauen standen ihren Mann, wenn es die Männer nicht taten.

Denken wir nur an Gertrude, des edlen Ibergs Tochter. Mein lieber Herr und Ehewirt, sagte sie zu ihrem Mann, magst du ein redlich Wort von deinem Weib vernehmen? Aber die Frage war nur rhetorisch gemeint. Sie las ihm die Leviten und erinnerte ihn an die Regel: Sieh vorwärts Werner und nicht hinter dich! Und ich glaube, mein lieber Herr und Ehewirt hat sie ironisch gemeint. 


Gertrud + Werner Stauffacher. Entwurf für ein Wandgemälde von F. Wagner, Staatsarchiv Schwyz.


3

Und wie war die Jugend?

Wie die Jugend eben ist. Fremder Zauber riss sie fort. Sie träumte von der grossen weiten Welt, der fremden falschen, wollte sich nicht mit Kuhglocken begnügen wie die edlen Alten. Und sie merkte nicht, wie sie dadurch der Sitten fromme Unschuld bedrohte.



4

Ansonsten war das Leben einfach. 

Es donnerten die Höhen, es zitterten die Stege. Viel Eis im Winter und Blümlein im Sommer. Fette und steinige Matten, gutes Wasser.



5

Es gab eine Handvoll Regeln, an die konnte man sich halten. 

Zum Beispiel die Zimmermannsregel: 

Die Axt im Hause erspart den Zimmermann. 

Somit war klar: Bevor ich unverschämte Rechnungen bezahle, kaufe ich mir lieber eine Axt und werkle selber. Und habe bei Bedarf eine Waffe im Haus. Wie der wackere Baumgarten. Der war mit seiner Axt im Wald, um Holz zu fällen, als der Vogt zu seiner Frau ins Haus kam und ein Bad verlangte. Mit ungebührlichen Hintergedanken, versteht sich. Da lief der Baumgarten hinzu, so wie er war, mit Axt und grosser Wut, und segnete ihm sein Bad.



6

Denn es war so:

Wenn einer schadete, hat man ihn erschlagen. Dann schadete er nicht mehr. Und jeder sagte: Ihr tatet wohl, kein Mensch kann euch drum schelten. 

Und was sagte der Täter selber? Ich hab getan, was ich nicht lassen konnte. 

So waren früher die Schweizer. 

 

7

Das haben die Österreicher nie begriffen. Hätten sie es begriffen, hätten sie nicht sagen können: Das Schweizer Volk ist zu nichts anstellig als das Vieh zu melken und faul herumzuschlendern auf den Bergen.

Was für eine Verleumdung!

Wen wundert es noch, dass das Volk zu murren begann; mit den bekannten Folgen: Überfall und Mord und Totschlag. 



8

Um auf die Österreicher zurückzukommen: Sie hatten diese Marotte, das Volk unters Joch zu zwingen. Immer sprachen sie vom Joch. Das Joch hier, das Joch da. Das Volk müsse lernen, den Nacken unters Joch zu beugen. Ausgerechnet den Nacken! Wie sollte das gehen? Ein Stiernacken lässt sich nicht beugen und brechen schon gar nicht.  



9

Wie konnte das gutgehen mit solchen Vögten?

Es ging auch nicht gut, es kam zum Krieg. Und Gottseidank, die Unschuld hat gesiegt. Entscheidend dabei war, dass in der alten Schweiz die Redlichkeit in jedem Stand zu Hause war. 

 

10

Kommen wir noch auf Tell zu sprechen, ohne den es nun einmal nicht geht. 

Man kennt ihn als Tatmenschen, der immer bereit war zu helfen, wenn das Land ihn rief. Und als Alpenjäger, der die Gämse (damals hiess sie noch Gemse) bis auf die höchsten Zinnen verfolgte. 

Was man weniger weiss, ist, dass er im Grund eher häuslich war. So kam es öfter vor, dass er sagte, wenn man ihn ansprach und plaudern wollte: Mein Haus entbehrt des Vaters, lebet wohl. Ja das war fast schon eine stehende Wendung von ihm. 

 

Er hatte noch mehr Sprüche auf Lager: Ein jeder lebe still bei sich daheim, ist so ein Spruch von ihm, man glaubt es kaum. Denn er war überzeugt: Dem Friedlichen gewährt man gern den Frieden. Auch: Früh übt sich, was ein Meister werden will, ist von ihm. Ist ja klar: Auch so ein Meister wie der Tell, ist nicht einfach vom Himmel gefallen.

Seine Devise war: Wer gar zu viel bedenkt, wird wenig leisten. Und: Das schwere Herz wird nicht durch Worte leicht. Auch das mit der Axt und dem Zimmermann ist übrigens von ihm.

Oder: Was Hände bauten, können Hände stürzen. 

So dachte der Tell, so war er beschaffen.



11

Natürlich war das Land noch nicht mit Strassen überzogen wie heute, aber es gab immerhin schon die so genannten Hohlen Gassen, durch die jeder kommen musste, der ein grösseres Gefolge hatte. 



Das wussten natürlich auch Wegelagerer und Attentäter und warteten im Hinterhalt. Die Reisenden waren da wie auf dem Präsentierteller, sprich in einem Graben, wie sollten sie sich wehren oder fliehen. Nun im Fall von Gessner und Tell war es für einmal für einen guten Zweck.

Auch der Schiffsverkehr war schon tüchtig ausgebaut, sogar auf dem vom Föhn geplagten Vierwaldstättersee. Dank geschickten Steuermännern, die jede Klippe umschifften und sich im Notfall mit einem Sprung ans Ufer retteten, sobald eine Platte oder Felsvorsprung in Sicht war. Sie hatten auch tüchtige Schiffe, die so genannten Nauen, mit denen sie die Säumer vom Gotthard transportierten samt schwerbeladenem Ross. Und Flüchtlinge oder Tyrannen.



12

Ackerbau und Landwirtschaft waren schon auf einem guten Stand, dafür hat man genug Belege. Im Kloster Einsiedeln wurde Braunvieh gezüchtet und Ochsen zum Ackern ins Joch gespannt. Aber auch hier versuchten die Österreicher (immer diese Österreicher), das Rad des Fortschrittes zurückzudrehen. Um nur ein Beispiel zu nennen. Dem Melchtal von Unterwalden holten sie die Ochsen vom Feld. Mit der Begründung: Wenn der Bauer Brot essen wolle, solle er selbst am Pfluge ziehen. 

Wie kann man nur so rückständig denken!



 13

So war das Leben damals. Unsere Vorfahren waren ein Volk der Taten.

Und wenn sie überhaupt dachten, dachten sie an sich selbst zuletzt. Nicht so wie heute, wo jeder an sich selber denkt.