Monolog in

den Bergen



Wir sassen nach einem langen Marsch vor dem Zelt auf einer Bergwiese, als Agnese unvermittelt auf das Universum zu sprechen kam. 

Dämmerung kam auf. Die Berghänge, die eben noch graugrün leuchteten, wurden blau, dann schwarz. Erste Sternenfunken zeigten sich, verschwanden wieder, aufgesogen von Wolkendecken. 

 

«Unsere Sprache,» sagte Agnese, «nennt den Himmel Firmament, obwohl dieser Himmel nichts Festes an sich hat. Wir reden auch vom Himmelszelt, wenigstens in unseren Kirchenliedern. Aber der Himmel ist kein Zelt, er schliesst uns nicht ein, er strebt von uns weg. Man kann sich das eigentlich nicht vorstellen, dass sich das Universum immer noch ausdehnen soll, ich jedenfalls kann es nicht. Wohin denn, frage ich dich, sagte Agnese, kannst du mir sagen, wohin sich das Universum immer noch ausdehnen soll?»

 

«So wie wir uns nicht vorstellen können, dass wir uns auf unserer Erde mit grosser Geschwindigkeit unaufhörlich durch dieses Universum bewegen, auch jetzt, wo wir in diesen gähnenden Himmel starren. Der eine Ansammlung von Himmeln sein soll, wie man früher dachte, von sieben Himmeln, dreihundertfünfundsechzig Himmeln, in deren höchsten und entferntesten Gott der Vater sitzt und seinen Mantel über uns breitet.»

 

«Und diese Vorstellung von den Himmeln hinter den Himmeln, sagte Agnese, ist ja gar nicht so falsch, wie wir heute wissen, verloren auf unserem winzigen Planeten, der um eine Sonne kreist, in einer Galaxie, die Teil ist von einem ganzen Haufen Galaxien und so weiter und so fort, bis einem schwindlig wird im Kopf. Das ist alles so ungeheuerlich. Es übersteigt unsere Vorstellungskraft. So dass wir zu mathematischen Formeln Zuflucht nehmen, um davon zu sprechen, aber auch das hilft uns nicht weiter.» 


Aniflur


Ich lag auf dem Rücken, auf dieser mit Steinen übersäten Alpweide, die herabführte zum Ufer eines kleinen Sees. Am Himmel war fahl und abgewetzt eine Mondsichel aufgetaucht. Ich spürte die Kiesel im Rücken, die Unebenheiten, aber es war nicht unangenehm, den Boden zu spüren, es gab mir den nötigen Halt, während ich in den bodenlosen Himmel starrte.

 

«Wir wissen es, aber es fühlen, erfahren, das können wir nicht. So wie ja die Tatsache, dass unsere Erde sich dreht, nicht wirklich in unsere Köpfe eingedrungen ist. Wir können es uns nicht vorstellen, dass wir zeitweise mit dem Kopf nach unten hängen. Es entgeht unserer Erfahrung.

Wir sitzen vor unserem Zelt auf dieser Wiese irgendwo im unendlichen All und sehen hinauf zu den Sternen, mit denen uns nichts verbindet, wie es scheint. Dabei wurde der Stoff, aus dem wir sind, von ihnen ausgespuckt. Also sind wir Teil vom Ganzen, also gehören wir dazu. Und gehen auch nicht verloren. Und das müsste uns doch beruhigen..»

 

«Vor dem Hintergrund des Gesagten müsste uns das, was wir tagtäglich auf unserem Planeten treiben, als seltsam vorkommen. Wir verbeissen uns in den Alltag und machen wer weiss was für ein Aufheben davon. Dabei ist das alles im Einzelnen doch unbedeutend. Man muss sich ja nur vorstellen, in welch ungeheurer Zahl Menschen wie wir ihr Leben fristen und wie schnell diese Existenzen vor dem Hintergrund der Geschichte wieder erlöschen, auftauchen und verlöschen. Und nun gar vor dem Hintergrund des Universums. 

Und wenn man sein Leben so betrachtet, müsste man gelassener reagieren, es müsste einem die nötige Ruhe und Gelassenheit geben. All unsere Geschäftigkeit und Sorge um unsere Existenz müsste uns, wenn man den Blick weitet, übertrieben erscheinen. 


Ymér, '20


«Aber dem ist nicht so.  Die Menschen führen weiter tagtäglich ihr Spektakel auf, aber wer schaut schon zu, der Herrgott anscheinend nicht, er hat sein Interesse verloren, was ihm nicht zu verdenken ist, allerdings wenn wir den Spiess umdrehen und nicht mehr an ihn denken, wer soll es dann tun, die Löwen oder Elefanten? Ich glaube nicht, dass die damit viel Zeit verlieren. Sind aber trotzdem Gottes Geschöpfe, nur sind sie nicht so unter seiner Fuchtel, sind nicht verpflichtet ihn zu loben und zu preisen, können einander umbringen und massakrieren, und er hat sie trotzdem lieb. Ist mir auch nicht bekannt, dass sie nach dem Tod noch ins Fegefeuer marschieren, ist für sie nicht vorgesehen, für uns hingegen schon, und nicht zu knapp, das dauert und dauert, für einige bis zum Tage des Jüngsten Gerichts. Da wird dann endgültig entschieden, wer in den Himmel kommt oder endgültig in die Hölle. Aber was passiert mit denen, die kurz vor dem Jüngsten Gericht gestorben sind? Die hatten keine Zeit, sich im Fegefeuer zu läutern und stehen dann da: Daumen runter für ewig.» 

«Und nun sag mir, an einen solchen Gott sollen die Menschen wirklich glauben?» 

 

Sie schaute mich fragend an. Ich war wie aufgeschreckt. Was sollte ich  sagen? 

«Wirklich vielleicht nicht, sagte ich, aber imaginär!»

Ich sagte es, um etwas zu sagen.

 

Wir schauten hinauf in den gähnenden Himmel, horchten auf die wenigen Geräusche, die es noch gab, Steine, die sich lösten, das Pfeifen des Windes den Felsen entlang, das dumpfe Rauschen des Raumes. 

Sonst war es still geworden. Die Dunkelheit nahm zu und mit ihr die Ermattung, das Schweigen.

Von den Felsen her wehte ein kalter Hauch. Wie der Atem aus einer anderen Welt, aus anderen Räumen. 

Wir verkrochen uns ins Zelt.