Chuder + Werch



Früher, zu Hölderlins Zeiten,

war das ganze Dorf Hauptwil samt Umgebung

noch eine einzige grosse Textilmanufaktur.

Das hätte manch schönes Sinnbild ergeben:

Sie spinnen und spinnen

und weben und weben,

den Lebensfaden,

den Schicksalsfaden.

Abgesehen von der dazugehörenden Mythologie

(wofür Hölderlin immer eine Schwäche hatte)

und dem herrlichen Wortschatz:

brechen, flachsen,

hecheln, spinnen,

haspeln, wickeln,

weben, wirken,

bleichen, mangen

und all dem Chuder und Werch.

 

Aber für die Gewebe und Textilien,

die hier entstanden

(feinstes Leinen)

und für die Färbtechniken

(Indienne-Druck),

hat Hölderlin sich nicht interessiert.

Nicht, dass ich wüsste.

Zumindest hat er darüber nicht geschrieben.

Obwohl er zu der Zeit

neben dem Unterrichten

nichts anderes tat,

als Zeile um Zeile

aus Wörtern

Gedichte zu weben.


Indienne mit exotischem Blumen- und Blätterwerk: Textilmuseum St. Gallen, Inv. Nr. 25533


An die Parzen,

eben die,

die den Schicksalsfaden spinnen,

hat er ein Gedicht geschrieben,

bevor er nach Hauptwil kam.

Darin steht:

 

Nur einen Sommer gönnt, ihr Gewaltigen!

Und einen Herbst zu reifem Gesange mir,

Dass williger mein Herz, vom süssen

Spiele gesättiget, dann mir sterbe.

 

Denn, so dachte er, ist mir erst das Heilige, das Gedicht, gelungen,

dann ist es genug, dann kann ich auch sterben, beziehungsweise mich zurückziehen, was er dann ja auch tat, 36 Jahre vor seinem Tod.

Nicht bevor er mit 35 noch ein Gedicht schrieb mit dem Titel:

Hälfte des Lebens.


Oberes Schloss, Hauptwil. 

Hölderlin war 1801 für einige Monate Hauslehrer bei der Familie Gonzenbach (Textilunternehmer)

in Hauptwil TG.