Immer wieder ein anderer



Man ist ja täglich ein anderer Mensch. Vielleicht nicht täglich aber wöchentlich, monatlich.

Was ich sagen will ist, dass sich meine Zellen dauernd erneuern. Nicht nur, dass ich Schuppen habe und graue Haare bekomme und Falten im Gesicht, ich häute mich auch innerlich, wenn man das überhaupt sagen kann, nein wahrscheinlich kann man das nicht sagen. Ich meine, die Zellen in meinem Körper werden laufend ersetzt.

Wie kann ich da immer derselbe bleiben? Und doch zwingt mich mein Pass dazu; seit ich einen habe, sagt er mir immer dasselbe, dass ich der und der bin und bleibe.

Und jetzt hat man auch noch rausgefunden, dass auch mindestens ein Drittel der Nervenzellen sich im Laufe des Lebens erneuern. Also nicht mal die bleiben mir erhalten. Ich muss mich also nicht wundern, wenn ich manchmal nicht mehr weiss, wer ich bin.

Vielleicht kommen daher die Launen und Stimmungen. Weil man sich dauernd fragen muss, wer bin ich heute, wer bin ich denn eigentlich. Kann einem schon auf die Nerven gehen. Auf die Nerven, die nicht mehr dieselben sind wie gestern.

Und die Nerven gehen sich natürlich auch gegenseitig auf die Nerven, kaum haben sie sich aneinander gewöhnt, müssen sie wieder mit andern kommunizieren.


Nervenzelle (in grün), Balken ≙ 0,1 mm

Von Wei-Chung Allen Lee, Hayden Huang, Guoping Feng, Joshua R. Sanes,  - Dynamic Remodeling of Dendritic Arbors in GABAergic Interneurons of Adult Visual Cortex, CC BY 2.5, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=3482256


Und es wird jetzt auch immer klarer, woher die Kopfschmerzen kommen und das Bauchweh.

Denn die neuen Zellen müssen ja erst lernen, wie der Hase läuft, wie gehe ich mit dem Druck im Kopf um, wenn Föhn ist zum Beispiel. Oder die neuen Darmzellen fragen sich, wie sie mit den Stosszeiten umgehen sollen, wenn wieder einmal alles verstopft ist und immer noch geliefert wird, weil sich der Wirt überfressen hat. Nicht einfach.

Und die Zentrale im Kopf fragt sich auch, was sind denn das wieder für Typen da im Darm, die sich beschweren, von denen haben wir noch nie was gehört. Gehören die überhaupt dorthin oder sind das Eindringlinge, müssen wir die Immunpolizei informieren und Killerzellen schicken. Und wie soll jetzt mein Ich sich da noch zurechtfinden, zumal ich nicht einmal weiss, was oder wer das ist, mein Ich. Eben weil es sich immer wieder erneuert.

Und das Ich soll ja nicht allein sein, es soll noch ein Es geben, von dem man noch weniger weiss, ausser dass man ab und zu mit sich selber spricht, aber ob es dann das Es ist, das antwortet, ist noch eine andere Frage.

Da muss man ja verrückt werden, wenn man nie sich selber ist, sondern immer schon wieder ein anderer. Ich hinke ja laufend hinter mir selber her, ich bin ja immer schon veraltet und mein erneuertes Ich schüttelt den Kopf und denkt sich: Himmelherrgott noch einmal, wie kann man nur so rückständig sein.