Heideröschen



Warum ich mitten am Tag auf das Heideröschen zu sprechen komme? Weil ich ein Foto vor mir habe. Es hat zwischen Papieren gelegen, wo ich es sicher nicht gesucht hätte, wenn ich es gesucht hätte. Ich habe ganz was anderes gesucht, aber das hat sich schon erledigt, weil ich jetzt weiss, wo ich suchen muss, nicht unter jenen Papieren jedenfalls. So ist es ja oft, man beginnt mit etwas und landet ganz wo anders. Gilt ja für das ganze Leben.

Aber ich komme vom Weg ab, ich war beim Heideröschen. Das Heideröschen wird oft mit dem Heckenröschen verwechselt, was unverständlich ist, denn das Heckenröschen braucht eine Hecke oder einen Busch, darum heisst es auch Buschwindröschen. Warum hier noch der Wind dazu kommt, weiss ich nicht.

Aber lassen wir das Buschwindröschen, ich will hier vom Heideröschen erzählen, und das braucht keine Hecke, um sich daran festzuhalten, es wächst einfach so vor sich hin auf der Heide. Es hat auch nicht viel mit einer Rose zu tun, weiss nicht, wer auf den Namen gekommen ist. Man nennt die Blume besser Seidelbast, na gut, einverstanden, Seidelbast ist auch nicht gerade ein Name, der viel aussagt.



Aber auf all das will ich gar nicht hinaus, ich will darauf hinaus, dass Goethe einmal einen Seidelbast gesehen hat, als er so für sich hinging auf der Heide, von denen es damals noch mehr gab als heute.

Tatsache ist, dass Goethe, den man nicht Göte schreiben soll, weil das zu sehr an einen Götti erinnert, gern auf den Heiden rund um Weimar für sich hin ging, ohne gross zu überlegen, wohin er ging.

Allerdings ist nicht ganz klar, wo er nun genau ging, im Wald oder auf der Heide, einmal sagt er Heide, einmal Wald. Hat vielleicht damit zu tun, dass er in Gedanken war und nicht gross aufpasste.

Aber er war ja nicht die ganze Zeit in Gedanken versunken, es kam auch vor, dass er zwischendurch aufschaute und sich umschaute, einfach so, ohne Gedanken. Und da ergab es sich einmal, dass er am Wegrand ein Röschen stehen sah, ein Röslein auf der Heide. (Er sagt: auf der Heiden; er braucht das für den Reim.) Aber egal, er sieht da so ein Röslein stehn, das ja, wie schon gesagt, gar kein Röslein war, sondern ein Seidelbast, und ist gerührt und berührt, wahrscheinlich von der Blütenfarbe oder vom Duft; der Seidelbast duftet ja stark.

Er war überhaupt ein Mensch, der sich leicht rühren liess, und dagegen ist ja nichts zu sagen. Wie wäre es, dachte er sich, wenn ich mir so ein Stäudelein brechen würde, würde sich schön machen am Revers, sprich Kragen. Da aber geschah Folgendes, ob Sie es glauben oder nicht: Das Blümelein begann zu sprechen und fragte: Soll ich zum Welken gebrochen sein? Es war eine rhetorische Frage, denn es wollte natürlich nicht gebrochen sein, nicht mal von Goethe. Und der, einfühlsam, ich habe es schon gesagt, grub es mitsamt den Wurzeln aus und so gedieh der Seidelbast und blühte fort.  



Jetzt sagt mir aber Idi: Darum geht es doch gar nicht!

Das ist doch gar nicht gemeint, das Blümlein von dem er spricht, ist doch ein Mädchen, eine Gänsemagd oder Kuhmagd, ein Fräulein aus seinen Kreisen war wohl kaum allein im Wald. Und soll ich zum Welken gebrochen sein, heisst doch ganz einfach, soll ich jetzt, nur damit du ein weiteres Abenteuer an dein Revers stecken kannst, gebrochen, das heisst schwanger werden, und dann steh ich da mit dem Bankert und kriege keinen Mann. 

Und überhaupt, sagt Idi zu mir, du bringst da zwei Gedichte durcheinander. Das eine Mal geht Goethe persönlich durch den Wald und sieht ein Blümelein stehn, das andere Mal schickt er einen Knaben auf die Heide, und der sieht das Röslein stehn, von dem du hier die ganze Zeit sprichst. Ein Heideröslein. Röslein auf der Heide.

Und warum schickt er einen Knab’? Na, das ist auch klar, das Gedicht endet ja mit einer Vergewaltigung, und da konnte Goethe nicht gut ein Ich-Gedicht draus machen.

Und das Blümelein, das er ausgegraben hat im Wald, das könnte dann seine Frau gewesen sein, aber ausgegraben hat er sie nicht im Wald, sondern in einer Fabrik, sie war eine Fabrikarbeiterin.

Ich schaute mir die Gedichte an und tatsächlich, was für ein Durcheinander. Aber immerhin, ich verstehe jetzt, warum bei Goethe die Blumen sprechen können.