Fotografie für Anfänger:innen



Die Kuratorin einer Fotoausstellung könnte den Besuchern ihrer Ausstellung anhand der folgenden Fotos etwa Folgendes erklären:


Ha.Sch


Auf dem Bild sind eine Fotografin und ein Fotograf zu sehen. Aber es gibt noch einen dritten, den man gern vergisst. Den, der das Foto gemacht hat. Es sind also drei, die das Paar durch die Linse betrachten.


  Ha.Sch


Und mit uns, die wir vor der Fotografie stehen, sind es jetzt vier. Wir stehen sozusagen hinter dem Fotografen*. Wir nehmen seinen Standpunkt, seinen Blickwinkel ein. Wir können nicht anders. Wir sehen, was wir sehen, durch einen Filter. Wie es das Bild oben demonstriert. Der Filter heisst Fotograf. 

* Mit Fotograf ist hier Ha.Sch gemeint, aber im Prinzip alle Fotograf:innen.


Ha.Sch


Der Fotograf zeigt einen Ausschnitt der Welt. Wir wissen nicht, was er alles weggelassen hat. Er  entscheidet, was wir zu sehen bekommen und wie wir es zu sehen bekommen. 

Er tut noch mehr. Er lässt die Zeit stillstehen und damit auch jede Bewegung. Wir wissen also nicht, was vorher passiert ist und was nachher passiert, und was links und rechts und dahinter.

Wir wissen auch nicht, ob dieser Mann Ziegenmilch oder Kuhmilch abliefert, wie gross sein Hof ist, ob er der Besitzer oder ein Angestellter ist.


Ha.Sch


Eine Fotografie stoppt jede Bewegung und schaltet den Ton aus.

Bei dieser Fotografie würden wir zum Beispiel gerne wissen, was die beiden Mädchen zueinander sagen. Wir würden auch gerne wissen, was der Mann im Blickfeld hat und was die Frau betrachtet. 

Wir können nur Mutmassungen anstellen, Schlüsse ziehen.


Ha.Sch


Der Fotograf beobachtet.

Er braucht einen Blick für Situationen und für Konstellationen. Einen Blick wie diese Leue hier. Er braucht ein Auge für Farben und Formen.

Was er uns gibt, ist seine Sicht auf die Dinge. 


Ha.Sch


Hier macht der Fotograf ein Bild von zwei Betrachtern, die ein gemaltes Bild betrachten, ein Bild im Bild. Die beiden werden ihrerseits betrachtet. Vom Payaso. Der Payaso ist allerdings nur eine gemalte Figur auf einem Bild. So wie die Betrachter für uns nur zwei Figuren auf einer Fotografie sind. Malerei und Fotografie sind zwei Methoden, Gegenstände abzubilden, (sich) ein Bild von der Welt zu machen. 


Ha.Sch


Auf diesem Bild ist das Thema des Betrachtens und Betrachtetwerden noch deutlicher. Hier betrachet jeder jeden, und alle zusammen werden vom Fotografen betrachtet, der  selber wieder betrachtet wird, durch das Auge zweier Kameras. Wir könnten auch sagen, der heilige Gennaro und der Maler (!) Caravaggio, die auf die Mauer gemalt sind, beobachten den Fotografen, wie er ein Bild von ihrem Gemälde macht.

Und zu guter Letzt betrachten wir das Foto und stellen unsere Betrachtungen darüber an.


Ha.Sch


Hier fotografiert der Fotograf einen Mann, der eine Schrift fotografiert. Auch die Schrift ist eine Methode, die Welt darzustellen. Die Fotografie bildet ab, die Schrift benennt oder bezeichnet. 

Beide reduzieren die Wirklichkeit. Bringen sie auf den Punkt, wie man auch gern meint.

Witzig dabei:

Die Schrift hier ist in eine Tafel eingraviert, eingemeisselt (Schrift, schreiben kommt von scribere; schreiben, zeichnen. Ursprünglich: mit einem Griffel einritzen).

Das Wort Foto-grafie kommt von griechischen Verb γράφειν gráphein; schreiben, zeichnen, ritzen. Und von griechisch φῶς phōs, Licht.  

Also:

Fotografieren heisst mit Licht schreiben, zeichnen. Die Fotographie ist eine Lichtschrift oder ein Lichtbild. Der Fotograf ist einer, der mit Licht schreiben, malen, etwas auf eine Oberfläche einkratzen kann.