Der Rückwärtsblicker



Ich kenne da einen, der immer rückwärts blickt. Um ein Beispiel zu geben: Als gestern vor unserem Haus ein VW-Beetle parkierte, begann er von der Kutsche zu erzählen, mit der Kaiser Maximilian von Mexiko, ein Habsburger, durch Mexiko kutschierte. Die Kutsche war, wie er sagte, eine Prachtskarosse, innen Samt und Seide und aussen mit Gold drapiert. Damit war sie das Gegenteil von der schlichten, schwarzen Kutsche, mit der sein Widersacher Benito Juarez unterwegs war. Wen wundert es also, wenn Maximilian schliesslich als Volksfeind erschossen und Juarez als Volksheld gefeiert wurde. Und das alles erzählte der Rückwärtsblicker nur, weil er ein Auto erblickt hat, das in Puebla in Mexico hergestellt wird. Und für alle, die das nicht wussten – wie ich, in der Nähe von Puebla wurde Kaiser Maximilian standrechtlich erschossen. Ich möchte wetten, wenn der Rückwärtsblicker abends in seiner Stube Licht macht, sieht er seine Urgrossmutter, wie sie sich bei Kerzenlicht über einen Haufen Socken beugt, um sie zu stopfen. Und wenn ich ihn fragen würde, warum sie die Socken stopft und nicht einfach flickt, könnte er mir das sicher erklären. 


Aniflur, 2020


Aber das Beste ist vor Kurzem passiert. Wir kamen an einem dieser Wahlplakate vorbei, auf dem Maria Pappa, die Stadträtin für Planung und Bau, wie das heute heisst, sich für die Stadtpräsidentschaft bewirbt. Und als ich sagte, dass ich mir die Maria durchaus als Stadtpräsidentin von St. Gallen vorstellen könne, begann er ohne Übergang von einer Beate zu erzählen, die um 750 in der Nähe von Uznach gelebt haben soll und 31 Mägde und 32 Knechte hatte. So viele tauchen in den Urkunden auf, erklärte mir der Rückwärtsgewandte, gut möglich, dass sie noch mehr hatte. Ich weiss jetzt nicht, wieviel Leute die Maria in ihrem Departement unter sich hat, aber 31 Mägde und ebenso viel Knechte werden es nicht sein, vor allem keine leibeigenen. Zudem muss man wissen, sagte der Rückwärtsblicker (wieso muss man das wissen?), besass Frau Beate auch zwei Klöster, wo man für ihr Seelenheil betete.  Zwei Klöster, potztausend, sagte ich, die Maria, glaube ich, betet noch selber. Ja aber du verstehst das nicht, meinte der der Rückwärtsblicker, du musst das richtig einordnen, es ist schon erstaunlich genug, dass der Name der Beate in den Dokumenten überhaupt auftaucht, das ist für jene Zeit ganz ungewohnt, dass da eine Frau als Besitzerin erscheint und zwar noch vor dem Namen ihres Mannes.

Und so ging es weiter, was sollte ich machen, ich sagte ihm, dass Pappas Eltern aus Süditalien stammen, und dass es doch erfreulich sei, dass… –, aber er, was macht er, er erzählt mir, dass Beate mit ihrem Mann im Jahre 747 eine Reise nach Rom gemacht hat, und dass ihr Sohn 744 ins Kloster St.Gallen eingetreten ist. Oh Gott, dachte ich, wie bringe ich ihn von dieser Beate weg und ihren Knechten und Mägden, sprich Leibeigenen. Wie gefällt dir denn der Ring, dieser Ring, den die Pappa immer trägt, ich glaube es ist ein Opal. Da beginnt er, ob man es glaubt oder nicht, von der Bernsteinkette zu erzählen, die man auf dem Montlinger Berg gefunden hat. Dort war, stell dir vor, in der Bronzezeit eine Siedlung, deren Handwerker Kontakte nach Norditalien hatten. Der Bernstein, der ja von der Nordsee kam, wurde in Norditalien bearbeitet, das könne man nachweisen. Womit wir wieder in Italien waren, wohin die Beate einmal eine Reise unternahm und woher die Eltern von Maria stammen.