Brief an Ueli

 

Maurer



Hape


Lieber Ueli

 

Du hattest schon immer einen guten Blick für Benachteiligte und Randständige. Darum hat es mich nicht überrascht, dass du, wie du schreibst, in deinen letzten Ferien im Tessin den Eindruck bekommen hast, dass die Esel (asinus vulgaris) aus unserer Arbeitswelt praktisch verschwunden sind. 

Da hast du ganz recht. Nicht, dass man nicht zu ihnen schaut, das nicht, man sorgt für ihre Unterkunft und ihren Unterhalt. Aber man hat halt das Gefühl, dass sie überflüssig geworden sind, nutzlos, nur noch Arbeit machen, während sie früher den Leuten die Arbeit abnahmen. Sie stehen herum und langweilen sich.

Dabei waren sie einmal gefragt, da gebe ich dir recht, auch weil sie überall eingesetzt werden konnten, zum Beispiel in grossen Höhen, in schwierigem Gelände. Andererseits hat man sie auch immer wieder schlechtgeredet, sie dumm und störrisch genannt, nur weil sie ihren eigenen Kopf haben. Deine witzige, wenn auch ein bisschen traurige Bemerkung, man brauche die Esel nur noch als Eselsohren und als Eselsbrücken, umschreibt recht gut die Situation. 

Dass du jetzt aber die Bauern verpflichten willst, wieder Esel auf ihren Höfen zu beschäftigen (und nicht nur herumstehen zu lassen), überrascht mich doch ein bisschen. Du warst doch immer ein freiheitlich denkender Mensch! Ich empfehle dir, auch bei der Lösung dieses zugegebenermassen gravierenden Problems auf Freiwilligkeit zu setzen. Mit finanziellen Anreizen, sprich Subventionen, sollte es doch gelingen, die Bauern zu überzeugen, wieder vermehrt Esel für die Arbeit im Wald oder den Transport von Waren einzusetzen. 


Trautner-kunst / CC BY-SA (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)


Das Gleiche gilt für deine Idee, die Benutzung des Velos als obligatorisch zu erklären, wenn der Weg zur Arbeit nicht länger als fünfzig Kilometer (Hinweg) ist. Ich weiss, du bist ein begeisterter Velofahrer und dein Engagement für die Volksgesundheit und den Umweltschutz ist lobenswert, aber auch hier: Ist es nicht besser, die Leute auf freiwilliger Basis zum Velofahren zu bewegen, indem man entsprechende Anreize schafft? Und muss es unbedingt 50 Kilometer sein, kann es nicht auch einfach nur 30 Kilometer sein?

Ich verstehe natürlich, dass man es nach langer Amtszeit langsam leid ist, immer nur Empfehlungen auszusprechen und mitansehen zu müssen, dass nichts sich verändert, da möchte man gern mal etwas einfach durchziehen und per Dekret verordnen. Die Leute sozusagen zu ihrem Glück zwingen.

Aber du weisst ja auch: Der Schweizer und die Schweizerin an sich sind freiheitsliebende Tiere, sie brauchen ihre Bewegungsfreiheit und ihren freien Willen, man kann sie nicht zu sanften Haustieren machen. 

Also überleg dir das mit den Eseln und den Velos und mit dem Befehlen und Verpflichten noch einmal.

(Übrigens: Nennt man Velos nicht auch scherzhaft Drahtesel?)

 

Alles Gute und bleib fit

Leo