Brief an Christoph

 

Blocher



Hape


Lieber Christoph

 

Du schreibst mir, dass du dich gern zurückziehst und deine Bildersammlung anschaust, wenn dir alles zu viel wird. Das gibt dir wieder Kraft und bringt dich auf andere Gedanken.

Da kann ich dir nur beistimmen.

Ich habe gerade wieder einmal in einem Hodler-Katalog geblättert und beim Anblick des Holzfällers, du kennst ja das Bild, ist mir wieder ganz warm ums Herz geworden. Diese Kraft und Ursprünglichkeit, dieses Selbst-ist-der-Mann hat mir wieder gezeigt, dass man sich nicht verbiegen lassen darf und mit beiden Füssen auf dem Boden stehen muss, dann kommt alles gut. 

Überhaupt das Holzfällen und Holzbearbeiten. Ich weiss nicht, ob du weisst, dass Kaiser Wilhelm der Zweite, nachdem er abgesetzt wurde, in seinem Exil in Holland sich dem Holz Sägen widmete. Ja doch, tönt komisch, aber es stimmt. Mehrere Stunden am Tag hat er Baumstämme zersägt. Ich weiss nicht auf welche Länge er die einzelnen Stumpen zurechtschnitt. Kommt ja darauf an, wofür das Holz gedacht war, für welchen Ofen und so weiter, das weisst du ja als Schlossbesitzer. Wir zum Beispiel haben immer mit Büscheli geheizt, Reiswellen, wie die Deutschen sagen, die waren 60 Zentimeter lang. Nun kann natürlich der Ofen des Schlosses, das Wilhelm im Exil in Dorn bewohnte, um einiges grösser gewesen sein als unser Kachelofen und entsprechend wird er seine Stumpen zurechtgesägt haben. Aber dass er sägte ist belegt, er selber hat darüber genau Buch geführt. Und das mit einer Hand, ich meine das Sägen nicht das Buchführen. Denn mit seinem linken Arm konnte er ja nicht arbeiten, der war seit seiner Geburt gelähmt, überhaupt seine schwere Geburt, man musste ihn ja im Mutterleib drehen, wer weiss, was für einen Einfluss dieses Trauma auf seinen Charakter (seine Prunk- und Prahlsucht) und die Weltpolitik hatte (zweiter Weltkrieg). Wie denkst du darüber? Wie immer wäre es sehr inspirierend, das zu erfahren.  


Ferdinand Hodler, Holzfäller (1910). wikipedia, gemeinfrei)


Ich weiss jetzt nicht, wie ich von Hodler auf Hölderlin komme, vielleicht weil beide Namen mit Ho anfangen (Hölderlin wurde ja auch Holder gerufen). Oder weil beide sich in einer Phase ihres Lebens mit den Bergen und Alpen beschäftigten. Der eine malte sie, der andere widmete ihnen Gedichte. Weiss nicht, ob die Alpen das zu schätzen wussten. Weiss auch nicht, was Holder von den Alpen wusste, er sah doch während seiner Zeit in Hauptwil allenfalls die Spitzen des Alpsteins. Nun gut, jedenfalls hat er Gedichte über die Alpen und Berge geschrieben. Unter den Alpen heisst ein Gedicht, das er in Hauptwil geschrieben hat. Dort heisst es: 

 

Und jählings herab von den Alpen

kommt eine Fremdlingin sie

zu uns, die Erweckerin,

die menschenbildende Stimme.  

 

Und nun frage ich dich, Christoph: Meint Holder hier etwa das Zäuerlen?

Ist es möglich, dass Hölderlin in Hauptwil das Zäuerlen lernte?

Würde man nicht denken, nicht wahr, dass dieser vergeistigte Griechenlandschwärmer sich dem Kehlkopfgesange, wie die Deutschen sagen würden, widmete.

Ja vielleicht hat sogar sein späteres 30 Jahre langes Verstummen mit dem Zäuerlen zu tun. Denn was sind Worte, wenn man Zäuerlen kann! 

Aber es geht ja noch weiter. Sagt er im eben zitierten Gedicht nicht, dass 

das Zäuerlen  den Menschen zum Menschen machte?

Darauf können wir Schweizer doch stolz sein. Das ist unser Beitrag zur Menschwerdung des Menschen!

Aber wem erzähl ich das. Du wusstest das schon vorher und brauchst dazu keinen Hölderlin.

 

Alles Gute und grüss mir Frau und Kinder (vor allem Magdalena)

 

Leo