Über Gefühle 3



Sein Herz ausschütten

Du bist so verschlossen, sagen die Leute: Du musst dich öffnen. Niemandem öffnest du dein Herz. 

Sie mögen ja recht haben. Auch ich habe manchmal etwas auf dem Herzen. Aber das sagt sich so leicht: öffne dein Herz. So einfach ist das nicht. Bevor man das Herz öffnet, muss man sich ja den Brustkorb öffnen, die Rippen spreizen, sich Zugang verschaffen. Nur schon wenn ich an das ganze Blut denke, vergeht mir der Mut. Und angenommen ich dringe bis zum Herzen vor, was dann? Wie öffnet man es, ohne dass es kaputt geht? Was mache ich, wenn es plötzlich stillsteht? 

Also mir scheint, das ganze Gerede von: Öffne dich, öffne dein Herz, ist mehr als unüberlegt. Und angenommen, es gelingt mir, das Herz zu öffnen, ohne dass es stillsteht; wie schütte ich es dann aus.? Wie geht das? Und wieviel davon soll ich ausschütten?  Und wer fängt es auf? Es müsste ja jemand bereit sein, das ausgeschüttete Herz aufzufangen. Oder soll das alles auf den Boden gehen.

Fragen über Fragen. 

Ich glaube, es ist besser, ich warte noch eine Weile und informiere mich, bevor ich jemandem mein Herz ausschütte. 


Ymér, '15


Vom Schatten

Im Schatten stehen ist besser als im Regen stehen, sagen die meisten, aber immer im Schatten stehen, ist auch belastend. Ausser im Sommer natürlich, da ist man froh um ihn.

Und dann ist es ein Unterschied, ob man im Schatten eines Baumes oder im Schatten seines Chefs steht. 

Soviel steht schon mal fest. 

Was lässt sich sonst noch über Schatten sagen? 

Manche Schatten sind so dunkel, dass man alleine nicht mehr aus ihnen herausfindet. Andere verfliegen wie eine Wolke am blauen Himmel. 

Es gibt Schatten, die erdrücken einen, keine Chance unter ihnen hervorzukriechen. Andere haben überhaupt kein Gewicht, sind kaum fassbar, lauern im Nacken. 

Es gibt lange und kurze Schatten, das hat natürlich mit dem Stand der Sonne zu tun und noch ein paar anderen Dingen, die nicht so sichtbar sind.

Oft sagen mir die Freunde: Wir lassen dich doch nicht im Schatten stehen. Das ist sicher gut gemeint, aber mit seinen Schatten muss jeder selber fertig werden. 


Hape


Gemüt

Tönt wie Gestüt und in der Tat werden im Gemüt verschiedene Pferde gezüchtigt, nicht unbedingt feurige, eher gemächliche, um nicht zu sagen gemütliche. Das muss kein Nachteil sein, gemütliche Pferde sind begehrt, zum Beispiel bei Geburtstagsfeiern und an Stammtischen.

Und gemütlich heisst ja nicht hässlich oder schiech, es gibt genug schöne oder gar goldige Gemüter, die das Gegenteil beweisen. Oft driften die gemütlichen Gemüter zwar ins Rührselige ab oder ins Sentimentale, aber Rührseligkeit und rührselige Gefühle allein haben noch keinem geschadet. Es sei denn, sie sind begleitet von Fremdenhass und Unduldsamkeit. Das kann natürlich vorkommen. Es gibt nun mal verschiedene Gemüter, wie es verschiedenen Pferde gibt, um auf das Gestüt zurückzukommen. Es gibt kindliche und ängstliche und übersensible Gemüter und dann gibt es andere, die haben das Gemüt eines Fleischerhundes. Da hält man besser Distanz.